60-Jährige schwamm von Spanien nach Afrika

 Als zweite Österreicherin durchschwamm Martina Tscherni (60) in 5 Stunden 48 Minuten die knapp 15 Kilometer breite Straße von Gibraltar zwischen Spanien und Marokko und erfüllte sich damit einen Traum. Interview: Julia Langeneder

 

 Wie kam es zu der Idee, die Straße von Gibraltar, eine der am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt, die als besonders herausfordernd und gefährlich gilt, zu durchschwimmen?

 

Martina Tscherni: Im Zuge eines Kunstprojekts bin ich voriges Jahr von Wien nach Bratislava geschwommen. Ich dachte mir: Wenn ich zwischen von einer europäischen Hauptstadt in eine andere schwimmen kann, kann ich auch von einem Kontinent zum anderen schwimmen. Ich bewarb mich bei der ACNEG Strait of Gibraltar Swimming Association und bekam Zuteilung für 2023 innerhalb eines Zeitfensters von zehn Tagen. Ich hatte großes Glück. Die Straße von Gibraltar gehört zu den „Ocean’s Seven“, eine siebenteilige Langstreckenschwimm-Herausforderung und gilt als Pendant zu den „Seven Summits“ (die sieben höchsten Gipfel jedes Erdteils) für Bergsteiger. Die „Slots“ sind heißt begehrt, zum Teil gibt es Wartezeiten von vier Jahren. Ich hatte Glück, dass ich nur ein Jahr Wartezeit hatte. Ich vermute, dass mir unter anderem mein Alter zugute gekommen ist.

 

Über 60 zu sein war also ein Vorteil?

Ich denke, ja. Die Spanier fanden es toll, dass eine 60-Jährige Frau so etwas macht, es gab großes Medienecho.

 

 Wie haben Sie sich vorbereitet?

Ich habe mich ein Jahr darauf vorbereitet und regelmäßig trainiert. Seit ich 30 bin, schwimme ich einmal pro Woche am Universitätssportinstitut (USI) Wien. Im Vorjahr trainierte ich noch intensiver in Hallenbädern und habe einige See-Überquerungen unternommen. Als Kind habe ich Schwimmen als Leistungssport betrieben. Von meiner Mutter habe ich die Liebe zum Wasser geerbt – sie ist mittlerweile 94 Jahre alt und hat sehr mitgefiebert.

 

Mit welchen Gefühlen sind Sie von Tarifa, Spanien, aus gestartet?

Zuerst möchte ich noch kurz den Ablauf erklären: Ausgehend vom Hafen von Tarifa, Spanien, wird man mit dem Boot zum südlichsten Punkt Europas gebracht. Die Regel besagt, dass man zu den Felsen hinschwimmen und den südlichsten Teil Europas berühren muss. Dann tönt ein Pfiff und es geht los. Am Boot hatte ich ein gutes Gefühl und ich freute mich aufs Schwimmen.

 

 Hatten Sie keine Angst – zum Beispiel vor Haien?

Im Wasser fühlte ich mich sofort sicher. Seit es die ACNEG gibt, also seit 2003, wurde nie ein Hai gesichtet. Grindwale, Delfine und Orcas gibt es sehr wohl - ihnen wollte ich nicht unbedingt begegnen. Ich habe mir daher im Vorfeld ein Magnetband aus Australien bestellt, das mit leichten magnetischen Wellen Haie oder auch andere Tiere irritieren soll. Außerdem hatte ich einen Neoprenanzug an, der mich nicht nur vorm Auskühlen geschützt hat  - das Wasser hatte durchschnittlich 19,8 Grad - sondern auch vor Quallen.

 

 Was war die größte Herausforderung?

 Gerade am Anfang waren die Strömungsverhältnisse schwierig, man muss ein Stück in den Atlantik hinaus schwimmen, weil man sonst in ein Hafengebiet gelangen würde. Die ersten 20 Minuten waren physisch und psychisch am schwierigsten. Ich kämpfte gegen unruhige See und Strömung und mit meinem Ich und war kurz davor aufzugeben. Mein Mann rief vom Begleitboot aus zu: „Tini, schwimm weiter“. Die erste Stunde muss man durchschwimmen und danach gibt es alle 45 Minuten eine Minute „Trinkpause“. Dabei darf man das Begleitboot nicht berühren.

 

 Wie ging es weiter?

 Das Meer wurde ruhiger und ich kam in einen Flow, das Schwimmen automatisierte sich, ich hatte kein Zeitgefühl mehr. Gefühle der Verlorenheit und der Leere wechselten ab mit Gefühlen von Geborgenheit und Trance. Bei der letzten Trinkpause sah ich schon Marokko und mir wurde gesagt, es sind noch zweieinhalb Kilometer, da war für mich die Sache klar. Als ich Grund unter mir spürte, wurde mir langsam bewusst: Jetzt bin ich angekommen. Das Ritual verlangte, dass ich wieder einen Felsen berühren musste und ich schwamm die letzten Meter nach Afrika: Hurra, geschafft!

 

 Ein überwältigendes Gefühl?

 Ja, es war unglaublich und kaum beschreibbar. Im Nachhinein bleibt neben Freude und Dankbarkeit aber auch ein ambivalentes Gefühl. Ich fahre dorthin und zahle dafür, dass ich von Europa nach Afrika schwimmen darf und dann gibt es Menschen, die von Afrika nach Europa wollen und im Meer ertrinken. Ich startete am 13. September, als in Libyen eine Stadt ins Meer geschwemmt wurde. Das Wasser spiegelt vieles wider: die Umweltproblematik, den Klimawandel und die Flüchtlingsproblematik. Es ist schön und auch zerstörerisch.

 

 Sie sind Künstlerin von Beruf. Was haben Zeichnen und Schwimmen gemeinsam?

In meiner künstlerischen Arbeit ging und geht es mir immer um Veränderung, um Verbindendes und Trennendes. In meiner Arbeit erzähle ich von den vielfältigen Berührungen des Schwimmers mit seinem Element, von seinem Ausgesetztsein und seiner Verlorenheit und von den sensiblen Strukturen der Ökosysteme im Wasser, in denen sich der Schwimmer bewegt.

 

 Was haben Sie als nächstes vor?

 Zuerst muss sich einmal alles setzen. Gemeinsam mit dem Kulturforum Madrid möchte ich ein Kunstprojekt mit Videoinstallationen machen. Ich habe unter Wasser gefilmt, mein Mann vom Boot aus. Es ist faszinierend, wie eintönig das Meer von oben aussieht und wie lebendig es von unten ist mit Luftblasen und Linien im Wasser.

 

 Und als Langstrecken-Schwimmerin?

 Als ich in Marokko aus dem Wasser stieg, dachte ich: Nie mehr wieder. Dann kam der Gedanke auf, gemeinsam mit meinen beiden Nichten die Straße von Gibraltar in einer Staffel zu durchschwimmen. Und nachdem ich von einer Hauptstadt zur nächsten und von einem Kontinent zum anderen geschwommen bin, würde mich der Örsesund (20 km) zwischen Dänemark und Schweden reizen – also von einem Land in ein anderes zu schwimmen.